Doppelkreuz oder Halbmond?

Autor: Bernd Posselt MdEP
Erscheinungsdatum: 17.10.2012

Ursprünglich byzantinisch, ist das christliche Symbol des Doppelkreuzes im Mittelalter immer weiter nach Westen gewandert. Mit den Slawenaposteln Cyril und Method erreichte es das Großmährische Reich, wurde zum Wappen Ungarns und der heutigen Slowakei, die sich auch in unserer Zeit wieder damit schmücken, um schließlich als Lothringer Kreuz, dem sich General de Gaulle sehr verbunden fühlte, die Brücke zwischen Deutschen und Franzosen zu schlagen.
Auch wenn Kroatien mit seinem Schachbrettmuster ein anderes Zeichen wählte, prägte der Dreiklang Slowakisch-Magyarisch-Kroatisch 900 Jahre lang das pannonische Becken. Deshalb wäre es kulturell, historisch und auch wirtschaftsgeographisch logisch gewesen, diese drei mitteleuropäischen Völker gleichzeitig in die EU aufzunehmen. Stattdessen verbannte man die Kroaten in eine künstlich geschaffene Kategorie "Westbalkan" und riß sie damit aus dem Umfeld, zu dem sie fast 1000 Jahre lang gehört hatten - von den sieben Jahrzehnten in einem Kunstgebilde namens Jugoslawien einmal abgesehen.
Inzwischen hat die EU mit Zagreb die kommpliziertesten Beitrittsverhandlungen in der bisherigen Erweiterungsgeschichte abgeschlossen, was keinesfalls an der mangelnden Vorbereitung der Kroaten lag, sondern an der Tatsache, daß man vor diesem Land künstliche Hürden auftürmte wie bei keinem Bewerber zuvor. Besonders kraß war die Agitation der aus der Schweiz stammenden Chefanklägerin des Tribunals für das ehemalige Jugoslawien, Carla del Ponte, die mit unwahren Behauptungen über den Aufenthaltsort des international gesuchten kroatischen Generals Gotovina die ansonsten erfolgreichen Verhandlungen blockierte. Einmal erklärte sie, Gotovina sei in einem kroatischen, dann in einem herzegowinischen Kloster, und schließlich ortete sie ihn verschwörungstheoretisch im Vatikan. Als er auf einer spanischen Insel gefaßt wurde, ging sie im Außenpolitischen Ausschuß des Europaparlamentes auf meine entsprechende Kritik mit den Worten ein, sie sei halt von Geheimdiensten irregeführt worden.
2011 schien das unwürdige Spiel internationaler Intrigen gegen Kroatien endlich gestoppt zu sein. Das Europaparlament sagte fast einstimmig Ja zur Vollmitgliedschaft, wenig später tat dies das kroatische Volk in einem Referendum. In 16 Mitgliedstaaten wurde das Beitrittsabkommen entweder bereits vollständig oder zumindest von einer der Parlamentskammern ratifiziert, in Straßburg sitzen schon Beobachter aus dem kroatischen Parlament, die sich auf ein Europamandat vorbereiten, und am 1. Juli 2013 könnte der überlange Prozeß beendet sein. Wenn man mißtrauisch darauf hinwies, daß ausgerechnet das Ja Deutschlands und Frankreichs noch ausstehe, wurde beruhigend versichert, hier drohe keine Gefahr.
In den letzten Tagen trug sich jedoch wieder einmal eine von den vielen Merkwürdigkeiten zu, mit denen man beim Thema Kroatien immer wieder konfrontiert ist. Die EU-Kommission verfaßte einen letzten Jahresbericht über das Land, der ermutigende Fortschritte konstatierte, aber auch Reformnotwendigkeiten auf noch zehn Gebieten. Nach Ansicht der meisten Experten sind diese Punkte bis Sommer nächsten Jahres - oder auch wesentlich früher - leicht bewältigbar. Dementsprechend wurde der Text, der unter der Federführung des sehr kompetenten Erweiterungskommissars ?tefan Füle aus der Tschechischen Republik erstellt wurde, in den meisten Mitgliedstaaten, in der kroatischen Öffentlichkeit und im Gemischten Parlamentarischen Ausschuß Europäisches Parlament-Kroatisches Parlament sachlich bis gemäßigt positiv kommuniziert.
Die Ausnahme war Deutschland. Gewisse Brüsseler Kreise setzten sich mit den Korrespondenten einiger großer deutscher Medien zusammen, die dann berichteten, Zagreb habe so gut wie keine Chance, bis zum vorgesehenen Termin im nächsten Jahr beitrittsreif zu werden. Vor einem neuen Fall wie bei der Mitgliedschaft Rumäniens und Bulgariens wurde alarmistisch gewarnt. Wenige Tage später stellte sich ausgerechnet Bundestagspräsident Norbert Lammert - also der Chef des Organs, das in Deutschland neben dem Bundesrat für die Ratifikation zuständig ist - sowohl gegen die Aufnahme Kroatiens als auch gegen jede Fortsetzung des Erweiterungsprozesses.
Sollte sich diese Linie im Regierungslager fortsetzen, wäre dies ausgesprochen gefährlich für die Glaubwürdigkeit der europäischen Integration sowie für die Stabilisierung Südosteuropas.
Dort drohen vielerlei Gefahren: Stillstand und Desintegration in Bosnien-Herzegowina, eine massiv um sich greifende Enttäuschung bei dem auf mehrere Staaten verteilten jungen Volk der Albaner, das ohne regionale und europäische Perspektive förmlich in eine Politik der Grenzänderungen hineingetrieben würde, Korruption und Nationalismus in Serbien, gegen die es Rechtstaatlichkeit, Minderheitenrechte und Integration Belgrads in die Donaustrategie zu stärken gilt.
In dieser Situation wird ein demokratisches, mitteleuropäisches EU-Mitglied Kroatien, das an mehrere Balkanstaaten grenzt, zum unverzichtbaren Faktor für Freiheit und Sicherheit. Wenn der Bundestagspräsident sich Sorgen um den Erweiterungsprozeß macht, soll er sich nicht auf das mehr als EU-reife Kroatien versteifen, sondern lieber darauf hinwirken, daß die für die EU und ihre Akzeptanz bedrohlichen Beitrittsverhandlungen mit der kleinasiatischen Türkei endlich in Gespräche über eine bilaterale Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Ankara umgewandelt werden. Kooperation ist sinnvoll, eine türkische EU-Mitgliedschaft würde beide Seiten überfordern. Südosteuropa kann sich über das mitteleuropäische Kroatien in der Tradition des Doppelkreuzes verankern; der Halbmond ist nicht Teil, sondern wichtiger Partner Europas.


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