Otto von Habsburg: Leuchtturm der Menschenrechte

Autor: Bernd Posselt
Erscheinungsdatum: 1.8.2011

Der 98jährige Otto von Habsburg entschlief friedlich in den frühen Morgenstunden des 4. Juli in seinem Haus in Pöcking am Starnberger See. Zu diesem Zeitpunkt machten sich hunderte von Europaabgeordneten aus 27 Nationen auf, um von ihren Heimatorten zwischen Nordschweden und Malta, Portugal und Bulgarien zur Plenarsitzung des Europäischen Parlamentes nach Straßburg zu gelangen, die zwei Jahrzehnte lang Wirkungsort und Lebenselixier des leidenschaftlichen Paneuropäers war.
Als der 67-jährige beschloß, in die Tagespolitik zu gehen, und 1979 bei der ersten Direktwahl für das Europäische Parlament kandidierte, hatte er bereits ein mehr als turbulentes Leben hinter sich. So wurde er beim Tod Kaiser Franz Josephs 1916 Kronprinz der österreichisch-ungarischen Monarchie, 1918 als Sechsjähriger mit seinen Eltern, Kaiser Karl und Kaiserin Zita, aus der Heimat vertrieben und lebte fortan im Exil, bis er 1954 in Bayern eine neue Verankerung fand. Auf Madeira starb 1922 sein Vater, weshalb Otto zehnjährig Chef des Hauses Habsburg wurde. Im baskischen Lequeito und im belgischen Steenokkerzeel ließ ihn seine Mutter Zita ungeachtet des Thronverlustes vielsprachig zum Kaiser erziehen.
An der Katholischen Universität in Löwen promoviert, floh er vor der einmarschierenden Wehrmacht nach Frankreich, von wo er Zehntausende mitteleuropäischer Juden vor dem Zugriff der Nationalsozialisten nach Übersee rettete. Als Emigrant in den USA tat er alles, um die Verantwortlichen der Westmächte darauf hinzuweisen, daß nach einem Sieg über Hitler mit Stalin die nächste Gefahr drohte. Als einer der Ersten wandte er sich in einem Vortrag in der Washingtoner Kongreßbibliothek gegen die von Edvard Bene_ eingefädelte, insgeheim schon geplante Vertreibung der Sudetendeutschen sowie gegen die Vertreibung insgesamt.
1945 mit seinen Brüdern für kurze Zeit nach Österreich, das ihm seine Wiederherstellung als Staat maßgeblich verdankte, zurückgekehrt, wurde er auf Geheiß Stalins durch die Regierung Renner wieder ausgewiesen. Nun schien er, trotz größter Verdienste und obwohl er politisch eigentlich immer recht behalten hatte, vor einem Trümmerhaufen zu stehen, bis sich sein Leben in den fünfziger Jahren zum Positiven wendete. Er heiratete Regina von Sachsen-Meiningen, die ihm sieben Kinder schenkte, erwarb in Pöcking am Starnberger See die "Villa Austria", in der er bis zu seinem Tod eine Heimat finden sollte, und begann auch politisch völlig neu.
Obwohl er schon in den dreißiger Jahren nach einem Gespräch mit Richard Graf Coudenhove-Kalergi der von diesem gegründeten Paneuropa-Union beigetreten war, hatte er sich in den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren vor allem für eine demokratische Donauföderation eingesetzt. Nun galt sein Wirken der gesamteuropäischen Integration, für die er jährlich in sieben Sprachen hunderte von Reden hielt, drei Dutzend Bücher und einen wöchentlichen Leitartikel publizierte und in die Führungsspitze der Paneuropa-Bewegung eintrat, zuerst als Vizepräsident, dann von 1973 bis 2004 als Präsident und schließlich als Ehrenpräsident. Otto von Habsburg kämpfte für ein starkes, supranationales Europa mit gemeinschaftlicher Außen- und Sicherheitspolitik, für die Beseitigung des Eisernen Vorhanges und die EU-Osterweiterung sowie für eine Erneuerung der abendländischen Völkergemeinschaft auf der Basis des christlichen Glaubens.
Ein Thema beschäftigte ihn besonders, nicht zuletzt auch in den 20 Jahren als Europaparlamentarier: Das Thema Menschenrechte. Für ihn war klar, daß Gott jedem Einzelnen eine unveräußerliche Würde und damit verbundene elementare Rechte verliehen hat, die ihm kein Staat, keine Rasse, keine Klasse, keine Macht, kein Kollektiv, ja überhaupt keine menschliche Institution oder Person wieder nehmen oder beschneiden dürfen. In Straßburg hatte er stets ein offenes Ohr für verfolgte Menschen von allen Kontinenten. Oft warf man ihm vor, sich zu sehr um hoffnungslose Fälle zu kümmern und eine politisch brotlose Kunst zu betreiben. Dem widersprach er unter Verweis auf sein Schicksal: Immer wieder habe er sich im Exil und während des Zweiten Weltkrieges für die Völker, Volksgruppen und Menschen eingesetzt, für die er sich besonders verantwortlich fühlte. Wenn er abgeblitzt oder belächelt worden sei, habe er sich vorgenommen, anders zu handeln, wenn er jemals eine öffentliche Funktion innehaben sollte.
Die Teilung Deutschlands und Europas durch den Eisernen Vorhang akzeptierte er nie. Er unterstützte zwischen 1953 und 1989, so gut er konnte, alle Volksaufstände und Freiheitsbewegungen gegen den Kommunismus, begründete mit uns aus der damaligen Paneuropa-Jugend 1976 das Brüsewitz-Zentrum für bedrohte Christen in der "DDR", engagierte sich in der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, ließ im Europaparlament einen leeren Stuhl für die damals noch von uns getrennten Völker Mittel- und Osteuropas errichten, verfaßte Dringlichkeitsanträge für die Freilassung politischer Gefangener, war 1982 in Straßburg Berichterstatter für die "Dekolonisierung der Baltischen Staaten" und schließlich Schirmherr des Paneuropa-Picknicks an der österreichisch-ungarischen Grenze, bei dem am 19. August 1989 die größte Massenflucht in den Westen seit dem Mauerbau stattfand. Vom Überwinder der Stacheldrähte und Minenfelder wurde er dann zum Wegbereiter der so genannten EU-Osterweiterung, die er mit Papst Johannes Paul II. die "Europäisierung Europas" nannte.
Seine Herkunft, seine Lebensgeschichte und seine politische Schwerpunktsetzung verbanden ihn auch zutiefst mit den deutschen Heimatvertriebenen. Mit den Sudetendeutschen verwuchs er so, daß er über diesen vierten bayerischen Stamm seinen Weg in die Politik des Freistaates fand - wozu ihn vor allem Franz Josef Strauß ermutigt hatte. Alle Sprachgruppen der einstigen Doppelmonarchie waren in Westdeutschland stark vertreten, vor allem aber in München, wo die Freiheitssender Radio Liberty und Radio Free Europe ebenso saßen wie etliche Landsmannschaften und Exilverbände. Wie selbstverständlich gehörte er nicht nur zu den Sudetendeutschen, sondern auch zu den Karpaten- und Ungarndeutschen, den Banater, Sathmarer und Donauschwaben, den Deutsch-Untersteirern, Deutsch-Krainern und Gottscheern, den Siebenbürger Sachsen und den Buchenlanddeutschen.
Doch ebenso wie der Blick des Paneuropäers sich von Tschechen und Ungarn, Slowaken und Kroaten auch zu Balten und Bulgaren weitete, nahm er sich zunehmend aller deutschen Landsmannschaften an. Mit den Schlesiern und Oberschlesiern war er, zu dessen ererbten Titeln auch der eines schlesischen Herzogs zählte, ohnehin mindestens so sehr verbunden wie die jahrhundertelang mit den Habsburgern rivalisierenden Hohenzollern - mit denen er persönlich durchaus gute Beziehungen unterhielt. Begeistern konnte er sich aber auch für die preußische Tradition und deren Träger im Vertriebenenbereich, als er feststellte, daß dieses einstige Königreich mit Deutschen, Hugenotten und Slawen ursprünglich von einer übernationalen Idee getragen war wie das Heilige Römische Reich und die Donaumonarchie, in deren Geschichte er wurzelte.
Da aber Nostalgie und Rückschau bei allem Geschichtsbewußtsein nicht seine Sache waren, sondern die deutsche und europäische Wiedervereinigung sowie die Unterstützung jener, die unter elementaren Menschenrechtsverletzungen litten, sah er im BdV und in den Landsmannschaften vor allem das große Potential für den Kampf gegen Diskriminierung und Unrecht sowie für ein geeintes Europa der Völker und Volksgruppen, Staaten und Regionen. Als dessen Bauelemente betrachtete er das Recht auf die Heimat, ein europäisches Volksgruppen- und Minderheitenrecht sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Letzteres sollten die Nationen nicht gegeneinander verwirklichen, sondern als große, völkerüberwölbende Gemeinschaft freier Europäer.
Auf diesem Weg wie auch bei der europäischen Einigung insgesamt ist noch viel zu tun. Otto von Habsburg war es immer zuwider, wenn jemand nur alte politische Wunden leckte oder zu viel Zeit damit verbrachte, wirkliche oder vermeintliche Erfolge zu feiern. Seine kurzen Reden als Alterspräsident des Europäischen Parlamentes beendete er mit dem Ausruf: "An die Arbeit!" Große Zukunftsaufgaben, die seine ganze Kraft erforderten, machten ihn glücklich. Er war, bei allem Respekt, ein fröhliches Arbeitstier. Wenn wir uns seiner würdig erweisen und ihm angemessen für seine Lebensleistung danken wollen, sollten wir diesem Beispiel folgen.


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